Bis jetzt ist mein absoluter Lieblingsbildband „shadows on the wall„. Bis jetzt 🙂

Dior

Ich hatte ein wenig Bedenken bei „Dior„, weil Fashion mich ja wenig interessiert, wie jeder sofort erkennen kann, der mich sieht. Aber da bin ich mit Peter Lindbergh in guter Gesellschaft.
Wobei nicht interessieren ein wenig ungenau ist. Sie darf, wie alle anderen Dinge, einfach nie vor der Person stehen. Sie darf aber gerne das Bild unterstützen.

Ich nehme also den ersten Band in die Hand, wobei er mit einer Hand kaum zu halten ist, und schlage fast andächtig die Seiten um. Grobes, schweres Papier gilt es umzublättern.

Und dann das erste Bild. Körnig, schwarz-weiß eine Doppelseite ausfüllend. Wobei die zweite Seite nur aus grauer Fläche besteht.

Das Modell (Alek Wek) macht nicht mal 20% des Bildes aus, wird großflächig vom Rücken irgendeines Menschen verdeckt. Fashion? In dem Bild? Nicht wirklich.

Großartig wie Lindbergh wieder mal alle Regeln bricht und Erwartungen nicht erfüllt. Zusätzlich zum bereits genannten ist das Bild auch noch leicht unscharf.
Wie übrigens die vier weiteren doppelseitigen Bilder auch. Teilweise ist überhaupt nicht erkennbar, was da fotografiert wurde. Chapeau!

Das, und so eine Seite, muss man sich erst mal trauen.

Auf einigen Bildern ist überhaupt nichts zu erkennen, auf anderen sind die Füße abgeschnitten, auf wieder anderen die Köpfe und manchmal hört der Körper in Höhe des Bauchnabels einfach auf.

Ich liebe es. Ich bekomme das Gefühl einen Einblick in das zu bekommen worauf es ankommt. Und er macht Mut. Mut zur Freiheit, die Regeln hinter sich zu lassen, nicht Bilder für Andere zu machen.
Und erst recht nicht für die, die irgendein technisches Merkmal für wichtig halten. Es zählt nur das Bild.

Die profanen Daten zu Dior. Für 150€ bekommt man zwei Bände, 520 Seiten und mehr als 5,5kg Kunst. Wieder mal erschienen im Taschen-Verlag.
Es ist Lindberghs letztes Buchprojekt gewesen. Leider verstarb er im September 2019.

Zurück zu den Bildern.
Auf den ersten Seiten begeistert mich also Alek Wek in einem Dior-Kostüm von 1947, dessen klare Linien mich erfreuen. Lindbergh fotografierte in New-York am Times Square. Mit vielen Spiegelungen und Unschärfen.
Und manchmal ist er selber auf einem Bild 🙂 Hat was von Hitchcock.

Wo steckt der Lindbergh?

Auch wenn ich mit Mode nicht viel zu tun habe und bei meiner eigenen Kleidung fast nur auf praktische Aspekte achte, so mag ich die schlichte Eleganz der Dior-Kleider, besonders der 50er bis 70er Jahre.
Diese Kleider in eine der wohl bekanntesten und quirligsten Strassen der Welt zu bringen, voll mit Menschen, Farben und Hektik, ist wieder so ein Lindbergh-Ding. So wie er damals die feinen Anzüge in den Industriehallen fotografierte, oder die „Supermodels“ in profanen weißen Männerhemden. Dieses Ent- oder auch Verrückte, diese Kontraste, das auf den ersten Blick vermeintlich nicht Zusammenpassende, dass macht sehr viel meiner Faszination diesem großartigem Fotografen gegenüber aus.

Ab ca. einem Drittel des Buches habe ich komplett vergessen, dass es hier irgendwie um Mode gehen soll. Ich erfreue mich an den intensiven close-ups.

Zwischendurch immer mal wieder Bilder auf denen ich beim besten Willen nichts erkennen kann. Ich frage mich warum Lindbergh oder der Kurator es ausgewählt hat?
Und dann, plötzlich wieder das Gegenteil. Modells ohne Kopf. Wo ich mir die selbe Frage stelle – um sie auch direkt wieder zu beantworten. Hier geht es wohl wirklich um Dior.

Die Frage, der Grönemeyer ein ganzes Lied geschenkt hat, stellt sich immer mal wieder; was soll das?
Warum hat das Modell einen Silberblick? Ich würde ein anderes aus der Serie wählen oder darauf verzichten, wenn ich kein besseres finden würde. An Zufall oder Fehler kann ich bei einem wie Lindbergh (und dem Team, welches hinter so einem Buch steht) nicht glauben. Also schaue ich mir das Bild noch intensiver an, suche nach dem „Highlight“, nach der „Rechtfertigung“ das Bild trotz des „Fehlers“ zu drucken.
Und irgendwann denke ich mir; Peter, Du Fuchs. Der „Fehler“, ich denke Lindbergh und Rakete nannten bzw. nennen es „Unperfektion“, ist das Highlight.
Wie schade, dass er von uns gegangen ist.

Ich muss es mir immer wieder vor Augen führen was für ein grossartiger Fotograf er war. Nicht viele Fotografen werden die Chance gehabt haben 70 Jahre Dior abzulichten. Viele Kleider stammen aus dem Dior-Museum, haben unschätzbaren Wert. Und Lindbergh lässt sie nach Manhatten bringen, stark ge- und versichert.
Um sie dann in den Straßen New Yorks teilweise kaum erkennbar und unscharf zu fotografieren. Dieses Denken außerhalb jeder Konvention werde ich sehr vermissen.
In seiner Ausstellung „UNTOLD STORIES“ ist das Gleiche zu erkennen. Er hat nur eine sehr begrenzte Fläche zur Verfügung, beschäftigt sich zwei Jahre mit der Ausstellungsvorbereitung und am Ende hängt da Flipper – hinter nicht entspiegeltem Glas.
Danke Herr Lindbergh, dass sie es einem oft nicht einfach machen.

Lindbergh ist sich treu geblieben. Ich kann mich an kein Bild erinnern auf dem gelächelt oder gar gelacht wurde. Bravo.

Was für ein fantastischer Bildband. Die perfekte Ergänzung zu „shadows on the wall„. Dessen Dichte im Ausdruck erreicht er nicht. Dafür zeigt er aber viele der von mir auch sehr geliebten Strassenszenen und vieles anderes mehr, was mich zum nachdenken über, aber auch zum versinken in den Bildern veranlasst.


Im zweiten Band mit dem Untertitel „Archives“ sehen wir mehr als 100 Fotografien aus der Modewelt, die Lindbergh ursprünglich für Zeitschriften wie die Vogue oder Harper’s Bazar gemacht hatte.

Das Papier ist deutlich dünner, deutlich näher an einer Zeitschrift als an einem Bildband.
In meinen Augen können nur sehr wenige Aufnahmen an die des ersten Bandes heranreichen. Aber es ist interessant eine Zusammenfassung seiner Arbeiten zu dem Thema zu sehen.