Wir schreiben das Jahr 2020. Das Jahr, welches durch die weltweite Corona-Pandemie beherrscht wird und schnell als „verlorenes Jahr“ empfunden wird.

Vor 16 Jahren ist Helmut Newton gestorben. Gestorben ist er als Newton, geboren wurde er vor hundert Jahren als Neustädter in Berlin.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass es jemanden gibt, der sich für Fotografie auch nur einen Hauch interessiert und diesen Namen nicht kennt.


Es ist Ewigkeiten her, dass ich das erste mal mit ihm in Kontakt kam. Irgendwelche nackte Frauen, oft in seltsamen Posen oder zur Hälfte in einem Krokodil – oder Aligator, aber wen interessiert das?

Mich hat es wenig interessiert, so wie Newton oder seine Fotografie. Dieses Bild, welches damals bei mir von ihm entstand, habe ich Jahrzehnte nicht in Frage gestellt.

Newton fotografierte auch Landschaften – und Porträts. Die meisten kennen ihn aber wohl als Mode- und Fashionfotograf. Und eben als Fotograf nackter Frauen.

Ich dachte auch lange, dass ich ihn, oder genauer, sein Werk kennen würde. Die nackten Frauen, die mir oft deplatziert vorkamen. Nacktheit der Nacktheit willen. Eine nackte Frau zur Hälfte in einem Alligator (oder Krokodil?). Macht doch keinen Sinn.

Ohne mich jemals ernsthaft mit Newton beschäftigt zu haben, habe ich ihn, nicht zuletzt wegen des Hypes der damals um ihn gemacht wurde, in eine Schublade gesteckt, die ich bis vor kurzem auch immer schön geschlossen hielt.

Schubladen sind nicht per se etwas schlechtes. Letztendlich ist es das Konzept der Abstraktion, der Klassenbildung, ohne welches wir kaum lebensfähig wären. Würde man nur lernen, das diese eine konkrete Herdplatte, die einem gerade die Hand verbrennt „böse“ ist, dann hätte man ein sehr schmerzhaftes Leben 🙂

Aber natürlich muss man gelegentlich auch seine Schubladen aufräumen und mal schauen, ob man nicht doch die falschen in Selbige gesteckt hat. Manchmal ändern sich auch einfach die Rahmenbedingungen. So sind, um im Frame zu bleiben, Induktionsplatten meines Wissens nach eher ungefährlich.

Genug Geschwafel. Leider kann ich mich nicht an den direkten Auslöser erinnern, der mich dazu brachte über Newton noch mal nachzudenken.

Ich glaube es war das Bild mit Vibeke Knudsen, auf welches ich per Zufall gestossen bin und welches ich für absolut fantastisch halte – und bei dem ich total überrascht war, dass es von Newton ist.

Vibeke Knudsen by Helmut Newton

Ein weiterer Aspekt ist bestimmt, dass sich meine allgemeine Einstellung zur Aktfotografie in den letzten Jahren geändert hat. Akt ist noch lange nicht Akt. Und Akt hat nichts mit Voyeurismus zu tun. Meist nicht mal mit Erotik.

Ich fing also an mich etwas mehr mit Newton zu beschäftigen und kaufte mir den Bildband „SUMO“. Nein, nicht die Limited Edition mit fast 35kg für den Preis eines Kleinwagens, sondern die „kleine“ Ausgabe mit 6kg.

Ein lohnender Kauf wie ich finde. Es sind erstaunlich viele großartige „andere“ Bilder enthalten – und einiges zum lesen.

An halb- oder ganz nackten Frauen mangelt es aber nicht. Es ist jedoch etwas anderes, ob man ein einzelnes Bild, gepushed von der Presse, vor die Nase gehalten bekommt, oder die Bilder in einem Kontext wie diesem sieht.

So sieht z.B. die Doppelseite im Buch mit Frau Knudsen in der Rue Aubriot aus.

Helmut Newton kokettierte damit, dass ihn nur die Oberfläche interessiere, die Beine, der Busen, das Gesicht … „Seele? Verstehe ich nicht“ sagte er.
Also doch Frauen nur als Sexobjekt? Ich glaube nicht. Eben nicht nur. Newton war auch ein Clown. Wenn er ein Foto schießt, dann lachend auf die Filmkamera zuläuft und sagt „Schon wieder 10.000$ verdient“, dann verstehe ich das so, dass er sich selber und diesen „Zirkus“ zwar liebt, aber nicht sonderlich ernst nimmt. Und vielleicht sogar einen Spiegel vorhält.

Und so sehe ich auch vermehrt seine Bilder. Die nackte Frau im Krokodil ist für mich immer noch albern, aber ich verstehe es als eine Provokation.
Letztendlich bietet er mehrere Sichtweisen an, und welche man wählt liegt bei einem selbst.

„In der Fotografie gibt es zwei dreckige Worte; Kunst und guter Geschmack“
(Helmut Newton)